Das Bundesministerium der Justiz hat am 25. Januar 2024 ein Eckpunktepapier für eine Reform des Kindschaftsrechts vorgelegt. Die Eckpunkte nehmen Bezug auf die im Koalitionsvertrag der 20. Legislaturperiode vereinbarte Reform, die auf die „Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht“ abzielt.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. (BAG TäHG) begrüßt, dass der bessere Schutz vor häuslicher Gewalt – sowohl für gewaltbetroffene Elternteile als auch für (mit-)betroffene Kinder – in den Reformvorschlägen explizit adressiert wird. Die Berücksichtigung von häuslicher Gewalt bei Sorge- und Umgangsrechtsverfahren ist bislang gesetzlich nicht ausreichend geregelt; in der Praxis wird der Schutz vor Gewalt (insbesondere des betroffenen Elternteils) oftmals nicht ausreichend einbezogen oder sorge- und umgangsrechtlicher Regelungen untergeordnet. Wie auch der GREVIO-Bericht kritisiert, werden dadurch gewaltbetroffene Eltern und Kinder nur unzureichend vor häuslicher Gewalt geschützt bzw. in besonders risikobehafteten Situationen weiterer Gewalt ausgesetzt. Dies steht eindeutig im Widerspruch zu den Vorgaben aus der von Deutschland ratifizierten Istanbul-Konvention.
Es ist daher zu begrüßen, dass künftig sowohl bei Gewalt gegenüber dem Kind als auch gegenüber einem Elternteil ein gemeinsames Sorgerecht regelmäßig ausgeschlossen werden soll (III. 8 Absatz 2). Ebenfalls zu befürworten ist der Vorschlag, wonach Familiengerichte den Umgang verwehren können, um eine konkrete Gefährdung des gewaltbetroffenen Elternteils abzuwenden (III. 8, Absatz 3). Die umfassende und systematische Ermittlung „etwaiger Anhaltspunkte“ für häusliche Gewalt durch Familiengerichte sowie eine Risikoanalyse bei Umgangsverfahren ist im Grundsatz zu unterstützen. Hier sollte allerdings kein Interpretationsspielraum geöffnet, sondern grundsätzlich „sämtliche“ Anhaltspunkte für häusliche Gewalt ermittelt und dafür standardisierte Vorgehen entwickelt werden. Dies setzt in der Praxis voraus, dass beteiligte Akteur*innen umfassend geschult werden, um Dynamiken und Facetten von häuslicher Gewalt erkennen und fundiert bewerten zu können.
Weitere Eckpunkte verdeutlichen die fundamentale Relevanz der flächendeckenden Vermittlung von Wissen zu häuslicher Gewalt, der ihr zugrundeliegenden geschlechtsspezifischen Machtstrukturen und Dynamiken an alle beteiligten Stellen. Die Vereinbarung der Alleinsorge eines Elternteils (III. 1 Absatz 2), die vollstreckbare Vereinbarung über das Umgangsrecht unter Einbezug des Jugendamts (III. 3) und die Möglichkeit der gerichtlichen Anordnung zur Betreuung im Wechselmodell (III. 7 Absatz 1) können bei Fällen häuslicher Gewalt zur Fortführung und Eskalation der Gewalt führen. Da Trennungssituationen für gewaltbetroffene Personen eine besonders gefährliche Situation darstellen, muss dies im Rahmen der Reform unbedingt berücksichtigt werden. So sollte z.B. bei III. 3 eine getrennte Beratung durch geschultes Jugendamt-Personal möglich sein, ohne dass es einem Elternteil zum Nachteil ausgelegt wird. In Fällen von häuslicher Gewalt darf es nicht zur Anordnung des Wechselmodells kommen.
Das Potenzial von Täterarbeit als in der Istanbul-Konvention verankerter Betroffenenschutz bleibt im vorliegenden Eckpunktepapier unberücksichtigt. Dabei kann Täterarbeit in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren genutzt werden, um gewaltausübende Elternteile in die Verantwortung zu nehmen und weitere Regelungen zum Umgang an die Teilnahme an einem Täterprogramm zu knüpfen. Dies stärkt sowohl kurz- als auch langfristig das Wohl des Kindes und des betroffenen Elternteils, ohne das Recht auf Umgang kategorisch auszuschließen. Aus diesem Grund fordert die BAG TäHG, Täterarbeit nach Standard als langfristige Schutzmaßnahme anzuerkennen und in den Reformplänen zu berücksichtigen. Es bedarf einer zivilrechtlichen Verankerung von standardgebundener Täterarbeit im Sorge- und Umgangsrecht.
Wir begrüßen die Initiative des BMJ hinsichtlich der geplanten Rechtsänderungen sowie der angestrebten Verbesserungen und sehen einem angepassten Referent*innenentwurf entgegen, der die Vorgaben der Istanbul-Konvention umfassender berücksichtigt.