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Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt zum Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention

Erstmeldung vom Samstag, 20.03.2021, 15.30 Uhr: AnkaraDiesogenannte Istanbul-Konventionist eine völkerrechtliche Vereinbarung, die der Europarat 2011 ausgearbeitet hat. Sie soll Frauen und Mädchen besser vor Gewalt schützen. 45 Staaten und die Europäische Union haben den Vertrag unterzeichnet. Am 1. August 2014 trat sie in Kraft. Nun ist die Türkei aus dem Abkommen ausgetreten. Ein entsprechendes Dekret hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan in der Nacht auf Samstag (20.03.2021) im Amtsblatt veröffentlicht.“

Die Befürchtungen aus den letzten Monaten haben sich nun am 20. März 2021 bewahrheitet. Präsident Erdogan hat ein Dekret unterzeichnet, mit welchem sich die Türkei aus der Istanbul-Konvention verabschiedet. Es darf bei dieser Gelegenheit nicht unterschlagen werden, dass auch Länder innerhalb der EU, wie Polen und Ungarn mit dem Gedanken spielen, aus der Konvention auszutreten.

Der Austritt der Türkei und die Überlegungen der beiden EU-Länder sind das Ergebnis einer schon seit Jahren schwelenden Entwicklung, die die Rechte von Frauen auf ein gewaltfreies Leben massiv in Frage stellt. Es stimmt traurig, dass der jahrhundertelange Kampf von Frauen und auch einigen Männern für die Gewaltfreiheit an Frauen und ihren Kindern in Beziehungen und im Alltag, der durch die Istanbul-Konvention gesetzlich manifestiert wurde, durch die männerorientierte Politik in einigen Ländern massivsten Angriffen ausgesetzt ist (siehe auch das neue Abtreibungsgesetz in Polen). 

Regelrechtes Entsetzen lösen die Aussagen der türkischen Ministerin für Familie, Arbeit und Sozialpolitik Zerah Zumrut aus: „Die Garantie von Frauenrechten in den türkischen Gesetzen und der türkischen Verfassung sind ausreichend: unser Justizsystem ist dynamisch und stark genug, um bei Bedarf neue Regelungen zu implementieren“. 

In Kenntnis der zurückliegenden Jahre bezüglich der türkischen Justiz und bezüglich auch der Frauenrechte in der Türkei klingt diese Aussage nicht nur unglaubwürdig, sondern kommt einer Verhöhnung aller Frauen in der Türkei gleich. Sehr nachdenklich müssen auch die Aussagen des türkischen Präsidenten Erdogan stimmen, der davon spricht, dass die Istanbul-Konvention den Aufbau der Familien in der Türkei massiv einschränken würde. Durch diese Aussage hat sich der Präsident demaskiert, denn sie bedeutet nichts anderes, als dass die Politik und vor allem das männliche Patriarchat in der Türkei auch weiterhin an der Unterdrückung von Frauen im alltäglichen Leben – vor allem in der Ehe – festhalten wird. Den Frauen soll ein selbstbestimmtes Leben, auch wenn es von massiv erlebter Gewalt geprägt ist, vorenthalten werden. Nichts anderes hat der türkische Präsident mit seinen Aussagen untermauert.

Der Austritt aus der Istanbul-Konvention ist das Ergebnis einer politischen Entwicklung in der Türkei, die nicht mehr nur zum Nachdenken und zu politischer Intervention, sondern zu massiven Sanktionen gegen die türkische Regierung und Politik führen sollte. Die Rechte von Frauen auf Gewaltfreiheit und Selbstbestimmung aufgrund einer innenpolitischen Situation auszuhöhlen, stellt einen massiven Bruch bezüglich der Menschenrechte dar. 

Deutschland und die gesamte EU muss nun dafür sorgen, dass diese Entwicklung nicht von anderen Ländern innerhalb der EU übernommen wird. Sollten Länder wie Polen und Ungarn ihre Entfernung von den Werten der Istanbul-Konvention weiterbetreiben und ebenso wie die Türkei aus dem Abkommen austreten, müssen massivste Sanktionen ins Auge gefasst werden, die auch einen zwangsweisen Austritt der betroffenen Länder aus der EU beinhalten sollten.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. setzt sich nun schon mehrere Jahre für gewaltfreie Beziehungen und für die Rechte auf Gewaltfreiheit von Frauen und Kindern ein. Wir verurteilen die Vorgehensweise in der Türkei und fordern, dies politisch nicht stehen zu lassen. Dies vor allem, um den Frauen in der Türkei bzw. weltweit zu signalisieren, dass Deutschland zur Umsetzung der Istanbul-Konvention und für die Umsetzung von Frauenrechten weltweit steht. Wir betonen erneut, dass endlich das Thema Gleichstellung nicht mehr nur geredet, sondern auch gelebt wird.

Für die BAG Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V.

Roland Hertel
Vorsitzender

Ansprechperson

Linda Conradi
Geschäftsleitung
info@bag-taeterarbeit.de

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