Einleitung
Mit der Verabschiedung des GewSchG im Jahr 2001 hat der Gesetzgeber einen Meilenstein zum Schutz gewaltbetroffener Menschen und in der Gleichstellungspolitik gesetzt. Unter der Kurzformel ”Wer schlägt, der geht” wurde erstmalig ein wirkungsvolles Instrument geschaffen, welches Betroffenen Schutz und Zeit bietet, um nach erlittener Gewalt in Partnerschaften ihre weitere persönliche Perspektive zu klären.
2013 wurde im Gesetz zur Täterverantwortung u.a. im Rahmen des § 153 a StPO, Absatz 1 Nr. 6, die Möglichkeit geschaffen, Tatbeschuldigte zur Teilnahme an einem „Sozialen Trainingskurs“ zu verweisen. Dazu zählen im Bereich der partnerschaftlichen und häuslichen Gewalt insbesondere die Programme zur Verhaltensänderung, die gemäß den Standards der BAG Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. durchgeführt werden und die hierbei auch geschlechtsspezifische Aspekte berücksichtigen (sogenannte Täterarbeitsprogramme).
Mit der Ratifikation der Istanbul-Konvention (IK) verpflichtete sich Deutschland gemäß Artikel 16 der IK „zu gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um Programme einzurichten oder zu unterstützen, die darauf abzielen, Täter und Täterinnen häuslicher Gewalt zu lehren, in zwischenmenschlichen Beziehungen ein gewaltfreies Verhalten anzunehmen, um weitere Gewalt zu verhüten und von Gewalt geprägte Verhaltensmuster zu verändern.“[1]
Denn um langfristig häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt zu beenden, benötigt es geeignete Programme und Ansätze, die die Gewaltausübenden darin unterstützen, dass sie für ihr gewalttätiges Verhalten Verantwortung übernehmen und dieses einstellen. Anhand der Präambel der IK, die den strukturellen Charakter von geschlechtsspezifischer Gewalt betont, und der daraus folgenden Verortung von Täterarbeit im Kapitel Prävention wird deutlich: insbesondere das Adressieren struktureller Aspekte von häuslicher Gewalt – bspw. durch die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen – spielt im Kontext von Täterarbeitsprogrammen eine zentrale Rolle. In der rechtlichen Praxis werden aber weitere Maßnahmen benötigt, die sowohl im Zivilrecht als auch im Strafrecht ihre Wirkung entfalten.
Der GREVIO Bericht vom Herbst 2022 benennt erhebliche Entwicklungsbedarfe zur Verbesserung der Situation Gewaltbetroffener in Deutschland. Darunter die mangelnde Bereitstellung von Frauenhausplätzen, als auch die fehlende Synchronisation von Umgangsverfahren und Gewaltschutz sowie die fehlende nachhaltige Finanzierung für standardgebundene Täterarbeitsprogramme. Der kürzlich veröffentlichte Monitor-Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte zur Umsetzung der Istanbul-Konvention zitiert die Empfehlung der Innenministerkonferenz (IMK) aus dem Sommer 2024. Dort wurde angeregt, „ob eine solche Anordnungsmöglichkeit zur verpflichtenden Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung bundesrechtlich möglich und zielführend ist, um die Zahl von Tätern häuslicher und insbesondere partnerschaftlicher Gewalt zu reduzieren.“[2] Bereits im März 2024 hat die BAG Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. im Rahmen der B-L-AG Häusliche Gewalt die Einführung von verpflichtender Täterarbeit im Rahmen einer Änderung des Gewaltschutzgesetzes gefordert.
Wir begrüßen daher ausdrücklich die Bestrebungen, den Gewaltschutz weiter auszubauen und insbesondere Täterarbeit auch im zivilrechtlichen Bereich zu verankern. Wir sehen gerade in Anbetracht des im November 2024 vorgestellten Lagebilds des Bundeskriminalamtes zu geschlechtsspezifischer Gewalt[3] das dringende Erfordernis, die gesetzlichen Grundlagen hierfür anzupassen und auszuweiten.
Ferner bedanken wir uns für die Möglichkeit, zum oben genannten Referentenentwurf Stellung zu beziehen. Die im Entwurf vorgeschlagene Schaffung einer zivilrechtlichen Grundlage für die verpflichtende Teilnahme an Täterarbeitsprogrammen halten wir für dringend geboten.
Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht sowohl die Verankerung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (eAÜ) als auch die Verpflichtung zur Teilnahme an Täterarbeitsprogrammen im Gewaltschutzgesetz (GewSchG) vor.
Zur Verpflichtung zur Teilnahme an Täterarbeitsprogrammen (§ 1 Abs. 4 RefE GewSchG)
Die im Referentenentwurf vorgesehene Einführung der Möglichkeit, Täter zu einer Teilnahme an einen sozialen Trainingskurs zu verpflichten, trägt dem originären Anliegen des GewSchG Rechnung, indem durch Täterarbeit ein wirkungsvollerer und nachhaltiger Schutz für Gewaltbetroffene ermöglicht wird. Gerade die Verpflichtung zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen bzw. Täterarbeitsprogrammen im GewSchG bietet die Möglichkeit, rasch auf Partnerschaftsgewalt zu reagieren und eine bisher bestehende Lücke in der Interventionskette zu schließen.
Daher schafft der Entwurf eine wichtige Rechtsgrundlage, um die Potenziale der Täterarbeit zu nutzen und eine schnelle Weiterleitung von Tatbeschuldigten an Einrichtungen der Täterarbeit zu gewährleisten. Bisher fehlt beim Erst-Zugriff der Polizei und der nachgehenden Sachbearbeitung von Fällen der Partnerschaftsgewalt eine bundeseinheitliche Grundlage für eine rechtssichere Datenweitergabe an Täterarbeitseinrichtungen, obwohl v.a. der sogenannte proaktive Ansatz die Chance einer raschen Intervention bietet. Wir begrüßen daher die geplanten Neuerungen, machen aber auch auf die Notwendigkeit aufmerksam, weitere Maßnahmen zur schnellen Vermittlung von Tatbeschuldigten, u.a. den proaktiven Ansatz, auszubauen.
In Täterprogrammen müssen sich Gewaltausübende mit ihrem Verhalten auseinandersetzen, die Ursachen und Hintergründe der Gewalt explorieren und Verhaltensänderungen trainieren. Dadurch wirkt Täterarbeit insbesondere langfristig und beugt weiterer Gewalt präventiv vor. Entscheidend hierfür ist, dass Täterarbeit nicht beliebig, sondern nach bestimmten Kriterien und Vorgaben stattfindet. Deshalb wurden von der BAG Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. in einem jahrelangen Prozess gemeinsam mit der Frauenunterstützung und dem Familienministerium Qualitätsstandards entwickelt, um entscheidende Rahmenbedingungen, die für eine nachhaltige Verhaltensänderung maßgeblich sind, festzulegen.[4] Dazu zählen u.a. eine kritische und gendersensible Grundhaltung sowie eine langfristige Ausrichtung der Intervention. Zudem darf Täterarbeit nicht isoliert stattfinden, sondern muss in interinstitutionelle Kooperationsbündnisse mit Polizei, Justiz, Jugendhilfe und Frauenunterstützung eingebunden sein. Täterarbeit nach Standard unterscheidet sich dadurch deutlich von anderen Interventionsformen wie Anti-Gewalt-Trainings, die den Anforderungen aus Artikel 16 IK nicht gerecht werden können.
Vor diesem Hintergrund plädieren wir dafür, dass die in § 1 Absatz 4 Satz 1 GewSchG geplante Anordnung des Gerichtes zur verpflichtenden Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs an Täterarbeitseinrichtungen erfolgt, die gemäß den Standards der BAG Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. arbeiten und mit ihrer Arbeit auf langfristige Verhaltensänderungen abzielen. Nur so ist sichergestellt, dass die (geschlechtsspezifischen) Ursachen adäquat bearbeitet und Betroffene langfristig geschützt werden können.
Eine solche professionelle, qualitativ hochwertige Täterarbeit benötigt die Bereitstellung von ausreichenden Personal- und Sachmitteln. Obwohl in der BAG TäHG mittlerweile 91 Einrichtungen bundesweit vertreten sind, finden sich weiterhin erhebliche Lücken in der Versorgungslandkarte mit gleichstellungsorientierter Täterarbeit. [5] Hier besteht erheblicher Bedarf, um dem Schutzauftrag für Betroffene von Gewalt nachzukommen. Im Referentenentwurf werden hinsichtlich der verpflichtenden Teilnahme an Täterarbeit keine zusätzlichen Kosten für die Länder benannt. Die BAG TäHG sieht hier entgegen der Aussage im Entwurf einen erheblichen Finanzierungsbedarf auf Bundes- und Länderebene, um standardgemäße Täterarbeitsprogramme sicherzustellen und auszubauen.
In Bezug auf justizielle Zuweisungen in Täterarbeitseinrichtungen muss zudem darauf hingewiesen werden, dass in der bestehenden Rechtspraxis die langfristige Ausrichtung von Täterarbeit oftmals nicht berücksichtigt wird. Im Sinne des Gewaltschutzes ist es allerdings unabdingbar, dass gewaltausübende Personen nicht nur für wenige Stunden an Täterarbeitseinrichtungen verwiesen werden, sondern zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs verpflichtet werden. Diesem Umstand sollte mit Fortbildungen in der Justiz und dementsprechenden Formulierungen zur Laufzeit eines sozialen Trainingskurses im Gesetzesentwurf Rechnung getragen werden.
Zur Einführung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung (§1a RefE GewSchG)
Die BAG Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. spricht sich klar für eine verpflichtende Vermittlung an eine Einrichtung der Täterarbeit in sämtlichen Fällen häuslicher Gewalt aus. Die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (eAÜ) muss hingegen immer im Rahmen einer Einzelfallentscheidung getroffen werden.
Die elektronische Fußfessel ist eine repressive Maßnahme zur Aufenthaltsüberwachung mit dem Ziel der Verhinderung weiterer, gravierender Straftaten. Die eAÜ stellt einen erheblichen Eingriff ins Persönlichkeitsrecht dar und ist vor ihrer Anordnung sorgfältig zu prüfen. In Fällen von Partnerschaftsgewalt ist daher die eAÜ als schnell wirkende Interventionsform nicht geeignet und enthält für sich genommen keinerlei präventiven Charakter. Sie sollte daher zwingend an die Anordnung zur verpflichtenden Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs gebunden sein.
Die eAÜ ist aus unserer Sicht vor allem dazu geeignet, die grundsätzlich gebotenen Interventionsformen des Schutzes für Betroffene und der Täterarbeit in Einzelfällen zu flankieren. Für ihre Anordnung ist eine einheitliche Risikoeinschätzung erforderlich. Diese ist bisher nicht bundesweit gegeben und müsste bei den Familiengerichten angesiedelt werden. Zur Durchführung einer gerichtlichen Risikoeinschätzung, Anordnung und Überwachung braucht es laufende Fort- und Weiterbildungen für Mitarbeitende der Justiz.
Die vorgesehene Verortung der eAÜ im GewSchG bringt zukünftig somit einige Herausforderungen für die Familiengerichte.
Voraussetzung einer wirksamen Umsetzung des geplanten Zwei-Komponentenmodells zur Überwachung des Kontakt- und Abstandsgebots sind zudem ausreichende Ressourcen und eine entsprechende polizeiliche Infrastruktur. Diese ist beispielweise im ländlichen Raum kaum gegeben. Die eAÜ kann daher nur bedingt einen Beitrag zur Verhinderung weiterer gravierender Gewalttaten leisten. Im Alarmfall steht zu befürchten, dass Betroffenen kein rascher und angemessener Schutz gewährt werden kann und diese zunächst hinsichtlich ihrer Sicherheit auf sich selbst gestellt sind.
Im Referentenentwurf wird darauf hingewiesen, dass die eAÜ immer nur eine zeitlich beschränkte Maßnahme sein darf. Gerade in strittigen Umgangs- und Sorgerechtverfahren ist daher ihre Eignung zu überdenken, da sich die genannten Verfahren häufig über längere Zeiträume erstrecken.
Die eAÜ kann also nur in Einzelfällen zur Gefahrenabwehr beitragen. Sie bildet aber kaum ein geeignetes Mittel, um der seit Jahren zu beobachtenden und besorgniserregende Entwicklung der ansteigenden geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen und TIN*-Personen zu begegnen. Dafür braucht es eine gesamtgesellschaftliche präventive Strategie und nicht allein ein reaktives Instrument zur Kontrolle und Abschreckung. Im Arbeitsfeld der Partnerschaftsgewalt sind standardorientierte Täterarbeitsprogramme ein Mittel, um bei den gewaltausübenden Personen langfristige Verhaltensänderungen zu erzielen. Eine regelhafte Verpflichtung zur Teilnahme an sozialen Trainingsprogrammen in Fällen von häuslicher Gewalt ist daher im Sinne des Gewaltschutzes geboten.
Über die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt (BAG TäHG) e.V. ist der profeministische Dachverband der Täterarbeitseinrichtungen in Deutschland und engagiert sich in Kooperationsbündnissen gegen häusliche Gewalt/Partnerschaftsgewalt. Das übergreifende Ziel der BAG TäHG ist es, durch die Arbeit mit gewaltausübenden Menschen häusliche Gewalt sowie geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Gewalt nachhaltig und langfristig zu beenden.
Der Verband gründete sich 2007 mit der Verabschiedung eines Standards für die Arbeit mit Tätern häuslicher Gewalt. Gemeinsam mit Frauenunterstützungseinrichtungen und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wurde der Standard zuletzt 2017 umfassend überarbeitet und vom BMFSFJ veröffentlicht.
Unsere Aufgaben sind die Qualitäts- und Standardsicherung der Täterarbeit in Deutschland, der Ausbau der Vernetzung und Kooperation in der Arbeit gegen häusliche Gewalt und die Beratung von Politik und Verwaltung zu Täterarbeit Häusliche Gewalt.
Derzeit vertreten wir bundesweit 91 Täterarbeitseinrichtungen. Unsere Mitglieder sind Einrichtungen und Fachberatungsstellen, die mit gewaltausübenden Menschen arbeiten und sich dem anerkannten Standard[6] für die Arbeit mit Tätern in Fällen häuslicher Gewalt verpflichtet haben.
Weitere Informationen/ Ansprechpartnerin:
Linda Conradi
Tel.: 030 4172 1745, E-Mail:
info@bag-taeterarbeit.de
www.bag-taeterarbeit.de
[1] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/122280/cea0b6854c9a024c3b357dfb401f8e05/gesetz-zu-dem-uebereinkommen-zur-bekaempfung-von-gewalt-gegen-frauen-istanbul-konvention-data.pdf, Download vom 06.12.2024
[2] Deutsches Institut für Menschenrechte, Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt, Monitor Gewalt gegen Frauen, Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland Erster Periodischer Bericht, Dezember 2024
[3] https://www.bka.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/Kurzmeldungen/241119_BLBStraftatengegenFrauen2023.html, Download am 06.12.2024
[4] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/arbeit-mit-taetern-in-faellen-haeuslicher-gewalt-80734
[5] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Weitere_Publikationen/Monitor_Gewalt_gegen_Frauen_2024.pdf, S.159
[6] BAG Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V.: Arbeit mit Tätern in Fällen häuslicher Gewalt: Standard der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.). Berlin, 2021